Umwelt

Ewigkeitschemikalien – Schützen Darmbakterien vor PFAS?

Die unsichtbare Gefahr im Alltag

Sie sind in beschichteten Pfannen, wetterfester Kleidung, Fast-Food-Verpackungen und sogar in Trinkwasser zu finden: PFAS – per- und polyfluorierte Alkylverbindungen. Wegen ihrer enormen chemischen Stabilität werden sie auch „Ewigkeitschemikalien“ genannt. Die Moleküle sind so widerstandsfähig, dass sie sich in der Umwelt und im menschlichen Körper kaum abbauen. Einige von ihnen reichern sich über Jahre hinweg im Gewebe an und können laut Umweltbundesamt bereits in geringen Konzentrationen gesundheitsschädlich wirken. Dazu zählen Störungen im Immunsystem, Fruchtbarkeitsprobleme, Schilddrüsenfunktionsstörungen sowie ein erhöhtes Krebsrisiko.

Bekannte Entgiftungsmethoden – begrenzt und belastend

Der medizinische Umgang mit PFAS im menschlichen Körper war bislang ernüchternd. Zwei Ansätze gelten als etabliert, jedoch als wenig praktikabel. Erstens: Die regelmäßige Blutspende – bei besonders belasteten Personen etwa durch kontaminiertes Trinkwasser. Da PFAS an Bluteiweiße gebunden sind, kann eine kontrollierte Blutentnahme ihre Menge im Körper senken. Zweitens: Der Einsatz cholesterinsenkender Medikamente wie Colestyramin, die PFAS im Darm binden sollen. Beide Verfahren sind aufwendig, invasiv oder mit Nebenwirkungen verbunden. Zudem wirken sie oft nur gegen bestimmte Subtypen.

Darmbakterien als Hoffnungsträger – ein Durchbruch aus Cambridge

Ein Team um Dr. Maarten Van de Guchte und Prof. Andrew Page von der Universität Cambridge veröffentlichte im Juli 2025 eine vielbeachtete Studie, die Hoffnung macht: Bestimmte Darmbakterien sind offenbar in der Lage, PFAS aktiv aufzunehmen und über den Stuhl auszuscheiden. In Versuchen mit Mäusen wurden neun menschliche Bakterienstämme identifiziert, die langkettige PFAS wie PFOA (Perfluoroctansäure) und PFNA (Perfluorononansäure) bis zu 75 % aus dem Körper entfernen konnten.

„Diese Bakterien besitzen ein hochentwickeltes Aufnahmesystem, das PFAS in ihren Zellen akkumuliert“, erklärt Van de Guchte in einem Interview mit The Guardian. „Statt im Blut zu zirkulieren, binden sich die Chemikalien an die Zellmembranen oder werden sogar in Bläschen verpackt.“

Wie funktioniert der biologische Mechanismus?

Die Forscher beobachteten unter dem Mikroskop, dass die Bakterien PFAS nicht nur aufnehmen, sondern auch in ihrer Zellstruktur isolieren. Teilweise bildeten sie sogenannte intrazelluläre Aggregate – Ansammlungen von PFAS-Molekülen in geschützten Bereichen. Diese Anhäufungen verhindern, dass die Stoffe reaktiv mit anderen biologischen Systemen interagieren. Zusätzlich pumpen die Mikroben PFAS aktiv nach außen in Richtung Darmlumen, von wo aus sie mit dem Stuhl ausgeschieden werden können.

Der Effekt war besonders bei langkettigen PFAS ausgeprägt – also jenen Verbindungen, die über den Urin kaum ausgeschieden werden und in der Leber sowie im Fettgewebe gespeichert werden. Laut Van de Guchte erreichen manche dieser Substanzen Konzentrationen von mehreren Millimol pro Liter in den bakteriellen Zellfraktionen – ein Vielfaches dessen, was in menschlichem Blut als bedenklich gilt.

Unterschiedliche PFAS – unterschiedliche Wege

Die Länge der Fluor-Kohlenstoff-Kette spielt eine entscheidende Rolle bei der Verteilung und Entsorgung im Körper. Kurzkettige PFAS wie PFHxA (Perfluorohexansäure) verlassen den Organismus meist über die Nieren und den Urin. Doch langkettige Verbindungen wie PFOS oder PFNA sind deutlich problematischer. Sie reichern sich an und können über Jahre im Körper verbleiben. „Die gute Nachricht ist: Gerade diese problematischen Stoffe sind es, auf die unsere Darmbakterien besonders gut ansprechen“, sagt Prof. Page.

Probiotikum gegen Umweltgifte? Der nächste Schritt

Ein junges Biotech-Start-up mit dem Namen Cambiotics, das aus dem Cambridge-Team hervorgegangen ist, arbeitet bereits an einem therapeutischen Probiotikum auf Basis dieser entgiftenden Bakterien. Das Ziel: Eine Kapsel, die regelmäßig eingenommen werden kann und die Darmflora gezielt mit den PFAS-bindenden Stämmen anreichert.

„Unser Probiotikum könnte Menschen helfen, ihre PFAS-Belastung ohne invasive Maßnahmen zu senken – insbesondere in Regionen mit belastetem Wasser“, erklärt Mitgründerin Dr. Lina Zhou. „Die Herausforderung liegt darin, die Stämme stabil und sicher in den menschlichen Darm zu integrieren.“ Erste klinische Studien an gesunden Freiwilligen sind für Anfang 2026 geplant.

Realistische Erwartungen – und wichtige Ergänzungen

Wissenschaftler warnen jedoch vor zu viel Euphorie. Die bakterielle Entgiftung sei keine Wunderwaffe, sondern ein weiterer Schritt in einem Gesamtkonzept. „Das Mikrobiom ist komplex. Eingriffe durch fremde Stämme müssen sorgfältig evaluiert werden“, sagt die Mikrobiomforscherin Dr. Clara Wendler vom Helmholtz-Institut in München. Zudem ersetzen solche Maßnahmen keine politische Verantwortung für den Umwelt- und Verbraucherschutz.

„Die beste Strategie gegen PFAS bleibt die Vermeidung“, betont Wendler. „Entgiftung beginnt nicht erst im Körper, sondern in der Gesetzgebung.“

Weitere unterstützende Maßnahmen

Während bakterielle Entgiftung noch in Entwicklung ist, empfehlen Fachleute schon jetzt einfache Ernährungstipps: Ballaststoffreiche Kost – insbesondere mit löslichen Fasern wie Beta-Glucan aus Hafer oder Inulin aus Chicorée – kann die Ausscheidung von PFAS über den Darm fördern. Eine Studie des University of California Nutrition Center zeigte, dass Teilnehmer mit hoher Ballaststoffzufuhr um bis zu 20 % höhere PFAS-Werte im Stuhl aufwiesen.

Auch die Wasserfiltration spielt eine zentrale Rolle. Aktivkohlefilter, Ionenaustausch oder neuartige Membrantechnologien können PFAS im Trinkwasser stark reduzieren. Für Kläranlagen werden Verfahren wie Plasma-Oxidation und photokatalytische Zersetzung diskutiert, bleiben aber teuer und energieintensiv.

Was bleibt offen?

  • Langzeitwirkung: Sind die neuen Bakterienstämme langfristig sicher im menschlichen Darm?
  • Wechselwirkungen: Was passiert mit dem übrigen Mikrobiom, wenn man es gezielt mit PFAS-bindenden Stämmen ergänzt?
  • Standardisierung: Wie lässt sich die bakterielle Entgiftung medizinisch regulieren, dosieren und überwachen?
  • Zugänglichkeit: Werden diese Therapien für belastete Bevölkerungsgruppen auch in Entwicklungsländern verfügbar sein?

Kleine Helfer, große Hoffnung

Die Entdeckung, dass menschliche Darmbakterien PFAS aktiv aufnehmen und zur Ausscheidung beitragen können, markiert einen bedeutenden Fortschritt im Umgang mit Ewigkeitschemikalien. Während klassische Entgiftungsmethoden invasiv oder unpraktisch sind, eröffnet sich mit probiotischen Therapien ein schonender, natürlicher Weg zur Reduktion der inneren Schadstoffbelastung.

Doch wie so oft gilt: Technologie allein kann gesellschaftliches Handeln nicht ersetzen. Die Entwicklung mikrobieller Entgifter sollte Hand in Hand gehen mit konsequenter Regulierung, dem Verbot besonders persistenter PFAS und einer ökologisch verantwortlichen Industriepolitik.

Oder wie es Dr. Zhou auf den Punkt bringt:

„Unsere Bakterien können helfen, das Problem im Körper zu mildern. Aber es ist die Aufgabe der Gesellschaft, dafür zu sorgen, dass es gar nicht erst so weit kommt.“

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